KCC Nr. 5: Nakedness. Holy Mania.
Concert: Wed. November 11, 2015, at 7:30 p.m.

Grundlage dieser Veranstaltungsreihe ist die Zusammenstellung von Ausstellungsobjekten und Musikstücken die in Beziehung zueinander stehen oder in Beziehung gebracht werden, sei es verdichtend, ergänzend oder kontrapunktiv. Das für dieses Projekt verbindende Thema „Nackheit – die heilige Raserei“ entstand in der Zusammenarbeit von Rita Nowak und Michael Horsky, die auf Initiative des Galeristen Philipp Konzett eine gemeinsame Ausstellung unter dem Titel „Cruising“ erarbeitet haben.
„Cruising“ ist ein Begriff aus der Schwulenszene und bezeichnet unterschiedliche Formen sexueller "Aufrisspraktiken", die über Insider Codes kommuniziert werden. Rita Nowak und Michael Horsky haben ihre erste Gemeinschaftsausstellung zum Anlass genommen, den Terminus als Moment erotischer Hochspannung in die Bildsprache von Fotografie und Malerei zu übersetzen. Sujets aus der Kunstgeschichte übernehmen die Funktion semiotischer Codes. Die Gegenüberstellung der Arbeiten zeigt polarisierende und gleichzeitig sich kongenial ergänzende Positionen: Rita Nowak definiert ‚cruising’ als rein erotischen Moment, der Sex bewusst ausklammert, für Michael Horsky bedeutet ‚cruising’ Sex in seiner orgiastischen Form.“ (Angelika Romauch)
Obwohl beim Thema „Nacktheit“ die optische Komponente überwiegt zeigt sich in der Assoziationskette zur Musik ein weites Feld: „...der Mensch hat einen tiefen eingeborenen Hang, sich zu prostituieren, aufzudecken, nackt zu zeigen: nur kann er ihn fast nirgends befriedigen…“ schreibt Egon Friedell im 1. Band seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“. Und weiter: „Dies war schon die Wurzel der uralten Dionysoskulte, bei denen die Männer und Frauen sich im Rausche die Kleider vom Leibe rissen, was aber die Griechen nicht als schamlose Orgie sondern als >heilige Raserei< bezeichneten.(...).“
Die heilige Raserei ist der Ausgangspunkt für das Musikprogramm zum 5. KonzeptKonzert.
Gleichsam in rasender Inniglichkeit tanzt der Junge in Francois Truffaut Film „Der Wolfsjunge“ (Frankreich 1970) im Regen. Er hatte als Waise lange im Wald gelebt und soll nun an die Zivilisation angepasst werden. Einmal ausgerissen reißt er sich die verhassten Kleider vom Leib, kehrt in den Wald zurück und tanzt. Diese Bilder kann niemand, der sie gesehen hat, je wieder vergessen. Und fest mit den Bildern verknüpft die Filmmusik: Vivaldi’s Konzert in C für Sopranino-Blockflöte RV 445.F.
Molly Bloom’s Monolog aus „Ulysses“ von James Joyce ist ein über 30 Seiten dauernder Satz ohne Interpunktion, mit dem sich Molly auf den bevorstehenden Geschlechtsverkehr mit Ihrem Ulysses einstimmt. Lucian Berio’s geniale Vertonung dieser Sequenz als „Sequenza III“ für Sopran solo und das 3. Streichquartett von G. F. Haas, bei völlig abgedunkelter Galerie, ergänzen das Programm. Musikalisch umrahmt wird der Abend von einer Bearbeitung des Gesualdo Madrigals’ „Ave dulcissima Maria“. Nach dem Mord an seiner Ehefrau, deren Geliebter und dem gemeinsamen Kind verfiel Gesualdo in jahrelange Schwermut und Trauer. Diese blutige und höchst unheilige Raserei gegen das Leben hat als tiefe Schmerzempfindung in seiner Musik eine Entsühnung gefunden. Das ist Kunst, und das ist heilig.
Michael Mautner
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